Jerash

Montag, 10. Mai 2010

Rundfahrt 10. Mai

An diesem Tag hieß es noch etwas früher aufstehen. Nach dem Frühstück ging es nach Norden zu unserem ersten Programmpunkt des Tages, der römischen Stadt Gerasa, heute Jerash.

Auf dem Weg dahin kamen wir durch ein „palästinensisches Flüchtlingslager“. Wer sich darunter nun aber eine umzäunte Zeltstadt vorstellt, hätte das Lager nie erkannt. Tatsächlich handelt es sich um ein normales Stadtviertel, wo eben Palästinenser leben, die offiziell noch den Flüchtlingsstatus haben und vom UN Flüchtlingskommissariat noch ab und zu ein paar Lebensmittel bekommen. Es geht dabei mehr um den formalen Charakter, als um die Notaufnahme von Flüchtlingen.

In vielen der kleinen Ansiedlungen, durch die wir kamen, verkauften Gärtnereien an der Straße Blumen, Büsche, Palmen und andere Gewächse. Die bergige Landschaft hier ist durchsetzt mit grünen Inseln in Gestalt von kleinen Wäldchen und landwirtschaftlichen Anbauflächen. Wie wir aber an den Stellen sehen konnten, wo das Gelände durch Haus- oder Straßenbaumaßnahmen angeschnitten war, ist die Grundstruktur nach wie vor Kalksteinfels. Die Bodenkrumme ist kaum einen Meter dick. Erstaunlich, dass auf diesem Grund überhaupt so viel wächst. Auch der Hausbau gestaltet sich offensichtlich schwierig. Während man bei uns in der Regel mit einem Bagger einfach eine Baugrube aushebt, bedeutet das hier das Abtiefen in Fels.

Dass sich das frühe Aufstehen gelohnt hatte, zeigte sich bei der Ankunft in Jerash, wo wir als erster Bus auf dem Parkplatz einfuhren. Lediglich zwei andere Busse folgten kurz danach. Später dann, als wir das Gelände wieder verließen, reihten sich Bus an Bus auf dem Parkplatz.

So aber konnten wir erst mal vor der Welle der anderen Touristen herschwimmen und in relativer Ruhe das weitläufige Gelände besichtigen.

Gerasa

Am Eingangsbereich gab es natürlich erst mal die obligatorischen Souvenirläden und Zeit, den Morgenkaffee wegzutragen. Langsam wurde uns dabei klar, dass 1-Dinar-Scheine immer in ausreichender Menge vorhanden sein sollten, wollte man unterwegs seinen natürlichen Bedürfnissen nachgehen.

Triumphbogen / Hadriansbogen
Triumphbogen / Hadriansbogen
Hippodrom
Die Reisegruppe vor den Außenmauern des Hippodrom

Vom Hadriansbogen aus gingen wir am Hippodrom vorbei bis zum Visitor Center, dem eigentlichen Eingang am Südtor der Stadt. Das Hippodrom wird heute für diverse Aufführungen benutzt. Daher erklärten sich auch die Mini-Belagerungstürme, die mir vom Parkplatz her aufgefallen waren.

Südtor
Südtor

Direkt hinter dem Südtor gelangten wie auf das Ovale Forum, mit dem Zeus-Tempel und dem Südtheater zur Linken.

Zeustempel und Südtheater
Zeustempel und Südtheater
Ovales Forum
Ovales Forum

Unser Weg führte uns dann vom Ovalen Forum über die Säulenstraße des Cardo am Nymphäum und der Kathedrale vorbei bis zu den Propyläen des Artemis-Tempels. Dort kreuzt, von der anderen Talseite her kommend, die Via Sacra zum Artemis-Tempel. Die Sichtachse wurde allerdings in byzantinischer Zeit durch eine Kirche verbaut.

Roman
Roman auf den Mauern am Ovalen Forum
Südlicher Cardo
Entlang des südlichen Cardo

Nymphäum
Nymphäum

Hier verließen wir den Cardo und stiegen die Treppen hinauf, die zum Tempel führen. Erst nach mehr als der Hälfte des Anstiegs wurde die Spitze des Tempels sichtbar. Diese Situation erinnerte mich stark an den Aufstieg zur Kathedrale San Miniato al Monte in Florenz. Auch dort erkennt man den Giebel der Kirche erst, wenn man ein Stück die Treppe hinaufgestiegen ist. Allerdings ist das dort bei weitem nicht so weitläufig wie hier.

Propyläenhof
Propyläenhof und Treppe zum Artemis-Tempel
Artemistempel
Artemistempel - Temenos, Vorhalle und Cella

Vorbei an den drei byzantinischen Kirchen ging es dann wieder zurück Richtung Südtheater.

St. Kosmas und Damian Kirche
St. Kosmas und Damian Kirche

Dabei blieben wir aber oberhalb des Decumanus und liefen praktisch durch das alte Stadtgebiet, von dem allerdings noch nicht sehr viel ausgegraben ist. Im Osten erkannten wir die Grenze der Stadt in Form der alten Stadtmauer. Dahinter schließt sich die aktuelle Wohnbebauung an. Auf der anderen Talseite ist das alte Gerasa komplett unter der modernen Bebauung verschwunden. Aber auch die verbleibenden Reste vermittelten uns in ihrer Weitläufigkeit und ihrem Erhaltungszustand einen Eindruck von einer römischen Stadt. Das war für mich schon ein Unterschied zu anderen römischen Hinterlassenschaften. In vielen Fällen, wie in Trier oder Rom vermengen sich ja alte und neue Stadtstrukturen und durchdringen sich stark, so dass die alte Stadtstruktur nur schwer ersichtlich wird. Das Forum Romanum ist durch seine Baugeschichte schwer zu fassen. Ostia Antica und Pompeji sind ebenfalls in ihrer Stadtstruktur erfassbar, aber dennoch irgendwie anders. Auf jeden Fall war für mich Gerasa überaus interessant, auch wenn ich vorher natürlich den Reiseführer gelesen hatte. Aber es ist doch noch mal ein Unterschied, die Beschreibung zu lesen, oder die Stadt sich zu erlaufen. Ähnlich sollte uns es übrigens später mit Petra ergehen.

Zum Schluss des Rundgangs schauten einige von uns noch kurz in das Theater, das vollständig restauriert wurde und heute ebenfalls für Aufführungen dient. Eine Gruppe Wächter in englischen Beduinenuniformen spielten ab und zu in der Arena englische Militärmusik mit Dudelsack und anderen Instrumenten.

Theodor-Schneller-Schule

In unserem Reiseprogramm war nun die Besichtigung der Theodor-Schneller-Schule mit dortigem Mittagessen vorgesehen. Darunter konnten wir uns erst einmal gar nichts vorstellen. Ich hatte auch vor der Reise diesbezüglich nicht recherchiert.

Tatsächlich sind die Schulen im Libanon und in Amman die Nachfolgeeinrichtungen des 1860 von dem deutschen Missionar Johann Ludwig Schneller in Jerusalem gegründeten Syrischen Waisenhauses. Die Theodor-Schneller-Schule in Amman wurde dann am 11. November 1966 von Ernst Schneller gegründet und gehört verwaltungstechnisch zum Evangelischen Missionswerk in Südwestdeutschland – Gemeinschaft evangelischer Kirchen und Missionen.
Das Gelände der Theodor-Schneller-Schule in Amman ist so weitläufig, dass wir größtenteils den Bus benutzten, um uns von einer Einrichtung zur anderen zu bewegen. Allerdings ist nur ein Bruchteil des Geländes bebaut. Zwar gibt es Pläne zum weiteren Ausbau, die sind aber bisher an der fehlenden Finanzierung gescheitert. Gleich am Anfang nahmen wir den Pädagogischen Leiter der Schule, Herrn Musa Al-Munaizel an Bord. Er spricht fließend Deutsch und führte uns mit großem Engagement in das Konzept der Schule ein und zeigte uns die verschiedenen Einrichtungen. Die Kinder und Jugendlichen, die in der Schule leben, sind entweder Waisen oder stammen aus einem sozial problematischen Umfeld. Sie werden durch ein Auswahlverfahren selektiert, da die Schule jedes Jahr nur eine begrenzte Zahl neuer Kinder aufnehmen kann. Die Kinder und Jugendlichen verlassen die Schule entweder auf eigenen Wunsch, oder idealerweise, wenn sie Schule und/oder Ausbildung abgeschlossen haben. Religionszugehörigkeit spielt keine Rolle, in der Schule sind sowohl christliche als auch muslimische Kinder. Allerdings zurzeit nur Jungen. Erst in diesem Jahr werden erstmals auch Mädchen aufgenommen und erhalten ein entsprechendes Ausbildungsangebot. Herr Munaizel erklärte uns, dass er nach wie vor Schwierigkeiten hat, diese „Revolution“ durchzubringen.

Wir besichtigten zunächst die beiden Ausbildungsstätten für Schreiner- und Metallhandwerk. Daneben gibt es noch eine KFZ-Lehrwerkstatt. Gerade im Bereich der Metallberufe arbeitet man heute sogar im Kundenauftrag, um Geld für die Schule zu erwirtschaften. Schmiedeeiserne Geländer und Fenstergitter stellen die Hauptprodukte dar. Als wir die Metallwerkstätte besuchten, bereite der Leiter der Werkstätte gerade eine Gruppe Jugendlicher auf die Prüfungen vor, die in der nächsten Woche stattfinden sollten. Diese Prüfungen sind an die strengen Normen der deutschen IHK angelehnt und werden von staatlichen Institutionen abgenommen. Herr Munaizel berichtete voller Stolz, dass die Schüler der Schneller-Schule regelmäßig mit besten Noten abschließen und allesamt nach ihrer Ausbildung Arbeitsstellen bekommen hätten. Ja, viele Betriebe fragten inzwischen sogar bei der Schule gezielt nach Abgängern.

Aber nicht nur die handwerkliche Ausbildung steht auf dem Lehrprogramm. Im Tal zwischen den Ausbildungswerkstätten und dem Gebäude mit den Klassenräumen gibt es Gärten, Streichelzoo und einen Hochseilgarten. Daneben wurde kürzlich ein Gebäude renoviert, in dem Konfliktbewältigungskurse abgehalten werden. Nach den Handwerksbetrieben durften wir eine Schulklasse besuchen, wo die kleinen Schüler ganz begierig darauf waren, arabische Zahlen und ein paar deutsche Sätze aufzusagen. Ebenfalls im Schulgebäude besuchten wir eine Malklasse, wo die Schüler Spiegel und Keramik bemalen. Wenn man bedenkt, dass alle Schüler aus extrem schwierigen Verhältnissen kommen, dann war die Begeisterung von Herrn Munaizel wirklich nachzuvollziehen.

Schließlich besuchten wir noch die Kirche, in die einige Stücke, z.B. die Glasfenster aus dem ursprünglichen syrischen Waisenhaus in Jerusalem hin gerettet worden waren, wenn ich das richtig verstanden hatte.

Zum Abschluss unseres Besuches wurden wir noch zum Essen eingeladen, wo wir auch die Gelegenheit nutzten, um mit dem Schulpädagogen weiter über die Einrichtung zu diskutieren.

Nachdem wir vor der Reise dem Programmpunkt eigentlich wenig Beachtung geschenkt hatten und dachten, der Besuch stünde nur deshalb auf dem Programm, weil Studiosus die Einrichtung finanziell unterstützt, so mussten wir im Nachhinein feststellen, dass das ein durchaus bereichernder Besuch war, der half, das Land und seine Menschen besser zu verstehen. Aber auch, mit wie wenig Mitteln Erfolge erzielt werden können, wenn die Menschen, die hinter einer solchen Einrichtung stehen, mit Engagement dabei sind.

Wüstenschlösser

Nach dem Mittagessen verließen wir Amman und fuhren in östlicher Richtung in die Wüste. Auf der Fahrt wurde wieder einmal klar, dass Wüste nicht immer Sand und Dünen bedeutet. Das Gebiet, durch das wir fuhren, war nämlich eine Geröllwüste. Die weiten schwarzen Flächen wurden durch Flintstein verursacht, der den Kalk durchsetzt. Der Sand war weggeweht und so kam das schwarze Gestein zum Vorschein. Zunehmend wurde auch die Sicht durch gelbliche Wolken über dem Boden behindert. Wir fuhren praktisch mitten in einen kleinen Sandsturm hinein.

Als wir dann beim ersten Wüstenschloss Qusair Amra ausstiegen, hatten wir das Gefühl in ein Heißluftgebläse zu laufen. Neben dem Parkplatz befindet sich ein kleines Museum, in dem insbesondere die Fresken und die Architektur des kleinen Wüstenschlosses erläutert werden. So vorinformiert konnten wir uns wieder in den Sandsturm begeben und hinüber zum Wüstenschloss stapfen. So richtig zum Fotografieren im Außenbereich kam ich eigentlich nicht. Der Sand trübte nicht nur die Sicht, sondern ließ mich auch nur sehr vorsichtig meine Kamera aus der Tasche nehmen. Schade eigentlich, denn das Gebäude mit seinen drei tonnengewölbten Schiffen und dem Anbau mit der Badeanlage macht wirklich einen hübschen, etwas verspielten Eindruck.

Qusair Amra
Qusair Amra - Omayyadisches Badeschlößchen

Hatten wir uns darauf eingestellt, von den Fresken im Inneren kaum noch etwas erkennen zu können, waren wir umso mehr überrascht, wie relativ gut sie dann doch erhalten waren. Wir hielten uns eine ganze Weile im Inneren auf, um die verschiedenen Malereien zu entdecken und zu betrachten.

Qusair Amra
Audienzhalle - Fresko 'Große Badende'
Qusair Amra
Audienzhalle östliches Gewölbe - Fresko mit plebejischen Szenen

Beim Verlassen des Gebäudes hatte der Wind etwas abgeflaut, so dass ich doch noch ein paar Aufnahmen machen konnte, bevor wir mit dem Bus das nächste Wüstenschloss Qasr el-Kharaneh anfuhren.

Die Überraschung war, dass hier die Temperaturen deutlich geringer waren, obwohl wir nur ein paar Minuten gefahren waren. Ganz im Gegensatz zum ersten Wüstenschloss hat dieses hier einen eher festungsartigen Charakter. Wie ein Klotz liegt es in der Landschaft, nur schwach strukturiert durch Halb- und Ecktürme, das hohe Eingangstor und die Lüftungsschlitze. Durch das Tor gelangten wir in den Innenhof. Rund um den Innenhof ziehen sich im Erdgeschoß und im Obergeschoß die Raumfluchten, deren Struktur eigentlich ohne einen Grundriss nichts zu erschließen sind.

Qasr el-Kharaneh
Qasr el-Kharaneh

Beiden Gebäuden gemein ist, dass die ursprünglichen Besitzer hier Stilelemente aus verschiedensten Epochen und Regionen gemischt hatten. Herr Flender zog immer den Vergleich mit einem Architekten oder Handwerker, der mit einem Musterbuch bei seinem jeweiligen Auftraggeber erschien und dieser auswählte und zusammenstellte, was im gerade gefiel.

Nach der Rückkehr zum Hotel verlief der kurze Rest des Tages mit Abendessen und Ausklang in der Bar recht unspektakulär.