Quelle der Texte zum Himmelstempel: MERIAN live! Peking Ausgabe von 2002
Sechs in den Himmelsrichtungen um den Kaiserpalast gruppierte Altäre waren geheiligte
Stätten, an denen die Kaiser im Rhythmus der Jahreszeiten strengen Riten
folgend Opfer darbrachten. Der Himmelstempel im Süden ist nicht nur auf Grund
seiner architektonischen Schönheit der herausragendste unter ihnen. Vielmehr
gehörte die Erflehung eines günstigen Klimas für gutes Gedeihen der Feldfrüchte
zur Wintersonnenwende, wenn die dem Himmel und dem Yang zugedachten Naturkräfte
beschworen werden mussten, zu den bedeutendsten Staatszeremonien überhaupt.
Der Himmelstempel entstand zeitgleich mit dem Kaiserpalast. Im umgebenden Park wurden Tiere für die Opferzeremonien aufgezogen. In ihrer reichen Symbolik ist die Altaranlage unübertroffen. Der inzwischen etwas beschnittene Grundriss symbolisiert im südlichen Quadrat die Vorstellung von der Erde und in der nördlichen Abrundung die Himmelskuppel. Die Farbe Blau und runde Formen stehen für den Himmel.
Für
die Zeremonien kleidete der Kaiser sich in ein pflaumenblaues Gewand, ließ sich
von 2000 Würdenträgern begleiten und von einem Elefanten tragen. Einen Tag vor
der Wintersonnenwende betrat der Tross die Altaranlage durch das nördliche von
einstmals zwei Westtoren. Nach einem Rundgang und Opfern in dem Kaiserlichen
Himmelsgewölbe, wo die heiligen Ahnentafeln bewahrt wurden, zog der Kaiser sich
in die Halle der Abstinenz zurück (südlich des Westtores), um dort fastend und
meditierend die Nacht zu verbringen. Bereits zwei Stunden vor Sonnenaufgang
begannen die Vorbereitungen.
Die
Riten verlangten, dass der Kaiser, von zeremonieller Musik begleitet, sich von Süden
dem dreistufigen runden Altar, Huanqiu, näherte und am Fuße der Terrassen in
einem gelben Zeit verharrte. Dreimal bestieg er dann die Altarplattform und
brachte seine kostbaren Opfer - Jade, Seide und Weihrauch - dar. Die drei Stufen
des weißen Marmoraltars symbolisieren Himmel, Erde und Mensch. Der Himmel
vertritt das männliche Yang, dem auch die ungeraden Zahlen, das Licht und die Wärme
angehören. Der runde Stein im Zentrum der obersten Plattform ist von neun
Quadern umlegt. Die Neun ist die wichtigste ungerade Zahl in der chinesischen
Zahlenmythologie. Der nächste Ring besteht aus 18 Steinen, und der neunte äußerste
Ring der Plattform zählt 81 Steine, eine magische Zahl. Auf der zweiten Stufe
setzt sich das Muster fort, bis 162 - also zwei mal 81 Steine - im äußeren
Ring erreicht sind, und folgerichtig zählen wir auf der untersten Stufe 243 im
äußeren Ring. Und weiter: die Marmorbrüstungen haben auf der obersten Stufe
72, auf der zweiten Stufe 108 und auf der untersten Stufe 180 Pfosten. Alle
Zahlen sind durch neun teilbar, und ihre Summe ergibt 360 - die Zahl der Grade
in einem Kreis. Die Anzahl der von den Himmelsrichtungen auf die Plattform führenden
Treppenstufen beträgt in jedem Abschnitt neun.
Die nach Norden anschließende Halle des Himmelsgewölbes barg die Ahnentafeln und heilige Requisiten. Sie ist umgeben von der Echomauer - so genannt, weil man gegen die Mauer sprechen und von der gegenüberliegenden Seite noch gehört werden kann. Das funktioniert natürlich nur dann, wenn es nicht gleich alle ausprobieren. Ebenso ist es bei dem dreiteiligen Echostein vor dem nördlichen Eingang, von dem ein dreifaches Echo widerhallen soll.
Weiter nach Norden schreitet man auf dem erhöhten, mit Marmorsteinen belegten Kaiserweg auf die in ihren Proportionen vollkommene Halle der Erntegebete zu.
Auf einer dreistufigen runden Terrasse wurde dieses bezaubernde Bauwerk mit dem dreifachen, in einer vergoldeten Kugel endenden blau glasierten Dach nach einem Brand erst 1889 wieder errichtet.
Hier opferte der Kaiser zum Frühlingsanfang
und erbat gutes Gedeihen der Feldfrüchte. Das runde Dach wird von 28 Holzsäulen
getragen, deren vier innere die Jahreszeiten symbolisieren. Die beiden äußeren
Ringe stehen mit je zwölf Säulen für die zwölf Monate und die zwölf
Doppelstunden des Tages.
Die
Halle wurde als Opferstätte zuletzt 1914 von dem Präsidenten der Republik,
Yuan Shikai, benutzt, der sich gern in der Kaiserrolle gesehen hätte.